Viele sprechen neben ihrer Muttersprache Russisch. Wenige sprechen Englisch. Jede neue Vokabel in Deutsch ist deshalb ein Ankommen. In ihrer neuen Schule, in Fürstenau, in Hollenstede, in Eggermühlen oder in Berge – dort, wo die Schüler:innen derzeit mit ihren Familien wohnen.
16 Stunden in der Woche lernen sie „Deutsch als Zweitsprache“. Eine kleines Lern-Team hat sich da gebildet, das in Fächern wie Sport oder Kunst auch am regulären Unterricht teilnimmt. Der Klassenraum, den die Gruppe nutzt, ist klein. Es geht nicht anders, da an der IGS gerade ein gesamter Klassentrakt saniert wird. Alle müssen Kompromisse machen – was den Platz angeht.
Beim Deutschunterricht gibt es die nicht. Die 15 Schüler:innen wollen und müssen lernen. Die älteren Jungen und Mädchen helfen den jüngeren; die Sprachbegabten denen, die sich mit der deutschen Grammatik schwerer tun. Der Google-Translator hilft, Gesten auch und manchmal einfach das Zeigen auf Gegenstände, um das Wort dafür erklärt zu bekommen – Vortasten in eine neue Sprachwelt.
Lehrerin im Irak, Lehrerin in Deutschland
Wie das ist, weiß eine besonders gut: Amel Qasim Abdulwahid. Sie ist nicht nur die Haupt-Lehrerin der 15 Schüler:innen, sie ist Vorbild. 2015 ist sie mit ihren drei Kindern und ihrem Ehemann aus dem Nordirak geflüchtet, hat ihre Heimat für immer verlassen. Lehrerin war sie und Lehrerin ist sie wieder. Arabisch, Türkisch und Englisch spricht die 52-Jährige – und inzwischen auch Deutsch. „Wie haben Sie das geschafft?“, fragen die Schüler:innen Amel Qasim Abdulwahid mit ihren ersten deutschen Wörtern oder mit der Hilfe des Computers. Sie erklärt es.
Die Irakerin verweist dabei gerne auf Zhanar Sulikan-Löffers. Sie war es, die Amel Qasim Abdulwahid Deutsch beibrachte. Sie kommt aus Kasachstan, hat einst in Deutschland Germanistik studiert und promoviert. Fünf Jahre hat die 48-Jährige anschließend an einer Universität in Kasachstan gearbeitet, um schließlich nach Deutschland zurückzukehren. Dort bildete sie sich weiter. Sie erwarb die Qualifikation, Deutsch als Zweitsprache unterrichten zu dürfen. Heute ist sie Lehrerin an der IGS in Fürstenau und lebt mit ihrem Mann auf einem Bauernhof im Bippener Ortsteil Vechtel.
Schüler aus der Ukraine wollen bleiben
Freundlich ist sie und bescheiden. Sie lerne immer noch durch das Lehren, sagt Zhanar Sulikan-Löffers.
Mit ihrer Hilfe konnte Amal Qasim Abdulwahid ihren Weg gehen – sich in Fürstenau einfinden, sich engagieren und nun Schüler:innen aus anderen Ländern unterrichten, von denen viele wie sie geflüchtet sind. Sie fühlt mit und ist ein wenig stolz; dass sie geben kann, was ihr 2015 gegeben worden ist: die Sprache, das Selbstvertrauen, die Hoffnung auf ein friedliches Leben. Die 15 Schüler:innen aus der Ukraine und aus Thailand wissen das zu schätzen. Sie lernen jeden Tag dazu. Hilfe bekommen sie nicht nur von Amel Qasim Abdulwahid und Zhanar Sulikan-Löffers, die ebenfalls die Klassengemeinschaft unterrichtet, sondern auch von der IGS-Lehrerin Doris Gebert, die eine Zusatzausbildung für Deutsch als Zweitsprache absolviert hat. Gemeinsam koordinieren sie den Unterricht und bilden ein Team. Das Ziel: die Integration der Schüler voranzutreiben. Und das geht nur über die Sprache.
Die Schüler:innen aus der Ukraine wissen das. Viele wollen in Deutschland bleiben, eine Ausbildung machen, studieren. Sie sagen es, ohne lange zu zögern. Dass vieles anders ist im neuen Land, haben sie bereits herausgefunden. Die Mülltrennung in Deutschland ist für die Schüler neu, die Größe der Windräder beeindruckend, die Tatsache überraschend, dass sie in Mathematik und Physik ein Jahr Vorsprung vor ihren deutschen Mitschüler:innen haben.
Was ihnen noch aufgefallen ist: Die digitalisierte Schule ist in der Ukraine längst eine Selbstverständlichkeit – anders als teilweise in Deutschland. Deshalb ist es für die Schüler:innen auch kein Problem, weiterhin am Unterricht in ihren Schulen in der Ukraine teilzunehmen – wenn nicht gerade Sirenen heulen.
Auch wenn sie sich gerade – zumindest vorübergehend – von ihrer Heimat lösen, um sich in der neuen zu integrieren, so ist ihr Land immer noch in ihrem Herzen. Was die Schüler:innen der Ukraine wünschen? „Das Beste – und den Sieg“, sagt ein Schüler mit langen roten Haaren und AC/DC-T-Shirt.